Maßnahmen zur Senkung der Stickstoffdioxid-Belastung in der Landeshauptstadt Wiesbaden


Rede des Stadtverordneten Veit Wilhelmy (ULW) zur Stadtverordnetenversammlung am 16. Februar 2017

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete, liebe Kollegen!

In unserer schönen Landeshauptstadt Wiesbaden können die Leute kaum noch durchatmen – die Stickstoffdioxid-Belastung ist viel zu hoch!

Wir haben innerhalb der Stadt drei Messstationen, und nur in Wiesbaden-Süd wird der seit 2010 geltende Jahresmittelwert eingehalten. 40 µg/m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) Luft dürfen in einem Jahr durchschnittlich erreicht werden, und nur in Wiesbaden-Süd liegt er darunter. 2015 wurden an der Ringkirche 52,8 µg/m³ erzielt, an der Schiersteiner Straße sogar 53,5 µg/m³. 2016 sah es kaum besser aus, wie die neuesten Zahlen des Umweltbundesamts zeigen: 53 µg/m³ an der Ringkirche, 51 µg/m³ an der Schiersteiner Straße. Nur zwei andere Messstationen in Hessen liefern noch schlechtere Ergebnisse! Das kann so nicht weitergehen, meine Damen und Herren!

Was bedeutet diese Stickstoffdioxid-Belastung für uns alle? Das kann ich Ihnen sagen – sie verringert unser aller Lebenserwartung! Es gibt Fachleute, die sogar noch weiter zuspitzen, indem sie sagen, dass mehr Menschen durch die gemeinsame Belastung von Stickstoffdioxid und Feinstaub sterben als durch Verkehrsunfälle. Der entscheidende Punkt ist nämlich folgender: Es gibt keinen Wert, unterhalb dessen keine gesundheitsschädigende Wirkungen auftreten! Das kann für uns doch nur heißen, dass wir die sowieso zu hohe Belastung so weit wie möglich senken müssen.

Was beispielsweise passiert, wenn jemand Stickstoffdioxid ausgesetzt ist? Dieses giftige Gas ist nur in geringem Maße wasserlöslich und dringt daher über die Schleimhäute in den Körper ein – und zwar hauptsächlich in die tiefen Regionen der Lunge, nämlich die Bronchiolen und die Lungenbläschen. Dort verursacht es Zellschäden und Entzündungen und ist deshalb besonders gefährlich, wenn jemand sowieso schon an einer Lungenerkrankung leidet. Das heißt aber nicht, dass gesunde Personen nicht auch darunter leiden! Die Schädigungen in der Lunge können nämlich auch zu Herz- und Kreislauferkrankungen führen.

Die akute Wirkung klingt fast banal – Hustenreiz, Atembeschwerden, Augenreizung. Aber dahinter versteckt sich eine ganze Latte an Kurzzeitwirkungen, die alle durch Studien belegt sind. Also Wirkungen, die auftreten, wenn jemand nur kurz Stickstoffdioxid ausgesetzt war. Tatsächlich nimmt die Gesamtsterblichkeit zu, es gibt mehr Herz-Kreislauf-Sterbefälle, die Krankenhausaufnahmen und Notfallbesuche wegen Asthma und Atemwegserkrankungen nehmen zu, die Krankenhausaufnahmen wegen chronischer Bronchitis. Die Lungenfunktion verschlechtert sich, und zwar bei Personen mit Vorgeschichte schon bei viel niedrigeren Werten als bei Gesunden! Die Atemwege können hyperreagibel werden, also auf alles reagieren, was in der Atemluft nichts zu suchen hat, selbst auf eigentlich harmlose Dinge wie Haarspray oder Deo. Schlimmer noch, das ist ein Risikofaktor zur Entstehung von Asthma!

Haben Sie schon mal einen Asthma-Anfall gehabt oder zufällig einen miterlebt? Selbst heute noch sterben Leute an Asthma-Anfällen, bei denen sich die Bronchialmuskulatur so verkrampft, dass die eingeatmete Luft nicht mehr ausgestoßen und deshalb keine neue Luft eingeatmet werden kann. Bei Lungenärzten und in Notaufnahmen wird alles andere hintangestellt, wenn jemand mit einem Asthma-Anfall eintrifft, denn da muss sofort alles versucht werden, um den Patienten wieder normal atmen lassen zu können. Die Betroffenen husten sich fast die Lunge aus dem Leib und pfeifen wortwörtlich auf dem letzten Loch – das ist furchtbar!

Aber selbst das ist noch nicht alles, denn Stickstoffdioxid hat auch Wirkungen, die der Laie nicht sofort erkennt. Beispielsweise schränkt es das Lungenwachstum von Kindern ein, und zwar von allen Kindern. Übrigens schon bei Konzentrationen unterhalb der derzeitigen Beurteilungswerte! Noch schlimmer ist, dass dadurch nicht rückgängig zu machende Lungenschäden im späteren Lebensalter nicht ausgeschlossen werden können. Kinder sind auch deshalb besonders betroffen, weil die höchsten Werte an Stickstoffdioxid in Bodennähe erreicht werden.

Das waren übrigens nur die Kurzzeitwirkungen, jetzt komme ich zu den Langzeitwirkungen, wenn Leute also langfristig Stickstoffdioxid ausgesetzt sind. Auch da nimmt die Sterblichkeit zu, außerdem chronische Atemwegsbeschwerden bei Erwachsenen, Husten und Bronchitis bei Schulkindern, chronische Bronchitis bei Kindern mit Asthma. Schulkinder haben eine schlechtere Lungenfunktion, Herzinfarkte und plötzlicher Herztod nehmen zu, das Allergierisiko erhöht sich.

Möglicherweise ist Stickstoffdioxid sogar krebserregend, und möglicherweise gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Schwangerschaftsdauer, der Größe des Neugeborenen und einer Zunahme von Fehlgeburten. Dazu sind allerdings noch weitere Studien nötig.

Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat vor einigen Jahren anhand vorliegender Studien statistisch berechnet, was passieren würde, wenn die Stickstoffdioxid-Belastung im Jahresmittel nur geringfügig gesenkt würde. Die eine Studie betraf Frauen und errechnete die Gesamtsterblichkeit pro 100.000 Personen. Nur 1 µg/m³ weniger bedeuteten 8,4 Todesfälle weniger. 2 µg/m³ weniger bedeuteten schon 25,2 Todesfälle weniger. Und bei einer Verringerung um 5 µg/m³ wären es sogar 42 Todesfälle weniger! Die andere Studie betraf chronische Bronchitis bei Kindern unter sieben Jahren mit Asthma – da wurde der Zusammenhang sogar noch deutlicher: 43 bzw. 132 bzw. sage und schreibe 215 Fälle weniger würden statistisch gesehen auftreten.

Das heißt, dass schon geringe Absenkungen der langfristigen Belastung und eine Verringerung der Tageszahl mit hoher Belastung die Gesundheit verbessern, vor allem bei denjenigen, die an oder nahe an verkehrsreichen Straßen und in Ballungsgebieten wohnen.

Übrigens ist die Natur gleichermaßen von Stickoxiden – wozu Stickstoffdioxid gehört – betroffen: Pflanzen werden gelb, altern vorzeitig und wachsen kümmerlich. Stickstoffdioxid trägt außerdem zur Überdüngung bei und verursacht Sauren Regen. Stickoxide bilden unter Einfluss von Sonnenlicht auch bodennahes Ozon, das ja seine ganz eigene gesundheitliche Problematik hat (Kopfschmerz, Schwindel, Atemnot, Lungenödem) und außerdem Sommersmog verursacht. Interessanterweise tragen Stickoxide in der Erdatmosphäre wiederum zum Abbau der Ozonschicht bei, auch wieder mit ganz eigener Problematik (beispielsweise Hautkrebs). Und schließlich kann Stickstoffdioxid die Oberflächenstruktur von Pollen verändern und damit neben dem direkten gesundheitlichen Einfluss auch dadurch das Allergiepotential erhöhen.

Meine lieben Damen und Herren Stadtverordnete, Sie sehen also, dass wir dringend etwas an der Lage in unserer Stadt ändern müssen, damit wir alle wieder richtig durchatmen können! Dazu braucht es ein Konzept, um das wir den Magistrat heute bitten, es zu entwickeln. Dass Stickstoffdioxid zum größten Teil durch Diesel-Fahrzeuge verursacht wird, ist längst unstrittig, und deshalb werden wir um entsprechende Fahrverbote wahrscheinlich nicht herumkommen. Und wenn das so sein sollte, dann brauchen diejenigen in Wiesbaden, die noch auf ihr Diesel-Fahrzeug angewiesen sind, Unterstützung und Zeit zur Vorbereitung.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen!

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